DGV-Tagung 2013

Tagungsthema

Verortungen. Ethnologie in Wissenschaft, Arbeitswelt und Öffentlichkeit

Die Ethnologie erlebt seit geraumer Zeit einen Boom, mit anhaltend hohen Studierendenzahlen, neu geschaffenen Lehrstühlen und wachsender Nachfrage nach interkultureller Kompetenz und ethnologischer Expertise in vielen Bereichen. Was bedeutet das für die Verortungen des Fachs in Wissenschaft, Arbeitswelt und Öffentlichkeit? Will (und kann) die Ethnologie in einer postkolonialen Welt zur Leitwissenschaft werden, oder will sie Störwissenschaft sein, die eurozentrische Gewissheiten anderer Disziplinen unterminiert? Verschwindet mit dem postmodernen Ende einer eindeutig hierarchisierten Welt- und Wissensgesellschaft die Existenzberechtigung für eine Spezialwissenschaft für die globale Peripherie, die die Ethnologie lange Zeit war? Oder bieten sich hier ganz neue Chancen für das Fach, dessen Stärke im Umgang mit informellen Praktiken, doppelbödigen Realitäten und divergierenden Sinndomänen liegt? Was bedeutet die Ausweitung ethnologischer Forschungsfelder − von den Marginalisierten zu den Eliten, von den Rändern in die Zentren der Globalgesellschaft − für ethnologische Methoden und Theoriebildung? Wie gehen Ethnologinnen und Ethnologen mit der Spannung zwischen ihrer Forschungsmaxime nicht-wertenden Verstehens und Forderungen nach politischer Positionierung um? Inwieweit sollen und können sie sich für die Interessen der Beforschten einsetzen? Und welche Folgen hat das zunehmende Engagement von Ethnologinnen und Ethnologen in Tätigkeitsfeldern wie der Entwicklungszusammenarbeit, internationalen Firmen oder der Bundeswehr für ein Fach, das sich doch oft eher als „Sand“ denn als „Öl“ im Getriebe der eigenen Gesellschaft verstanden hat? Kann die Ethnologie unbequeme Wissenschaft sein und dennoch für diesen Arbeitsmarkt ausbilden?

Diese ambivalenten Verortungen der Ethnologie in unterschiedlichen wissenschaftlichen und praktischen Kontexten will die DGV-Tagung 2013 ausloten. Wie positionieren sich das Fach und seine Vertreterinnen und Vertreter in Wissenschaft, außeruniversitärer Arbeitswelt und Öffentlichkeit selbst? Wie werden sie dort von anderen verortet? In universitären Kontexten arbeiten Ethnologinnen und Ethnologen immer häufiger im Rahmen interdisziplinärer Forschungs- und Lehrverbünde. Was bedeutet das für das Selbstverständnis und die Arbeitsweisen des Fachs? Taugt zum Beispiel „teilnehmende Beobachtung“ noch als Distinktionskriterium, nachdem einige Nachbarwissenschaften sie in ihr methodisches Repertoire integriert haben? Die meisten Ethnologie-Absolventen werden in außeruniversitären Arbeitsfeldern tätig. Was bringen sie aus ihrem Studium in die Arbeitswelt ein? Welche Anforderungen an das Studium erwachsen aus den Praxisfeldern, und welche neuen theoretischen Impulse wirken aus diesen wiederum auf die Ethnologie zurück? In öffentlichen Debatten, etwa zu Migration und Integration oder Bürgerkrieg und Völkermord, kommen Ethnologinnen und Ethnologen eher selten zu Wort. Sollte diese Zurückhaltung überwunden werden, und wie könnte eine „public anthropology“ aussehen?