DGV-Tagung 2015

Tagungsthema

Krisen. Re-Formationen von Leben, Macht und Welt

Krisen stellen Sicherheiten und Routinen infrage und implizieren Wandel und Transformation. Sie verweisen auf das Aufbrechen bestehender sozialer und kognitiver Ordnungen, markieren Wendepunkte und signalisieren den möglichen Beginn neuer Epochen. Krisen fordern Entscheidungen unter Bedingungen von Unsicherheit und existentieller Bedrohung. Ob ökonomische, ökologische, politische oder humanitäre Krisen, sie können Ausdruck individueller Lebensbrüche oder kollektiver Wendepunkte von Gesellschaften sein. Krisen beinhalten aber auch Chancen und Potential für dynamische Entwicklungen und die Überwindung bestehender Verhältnisse.

Während im medialisierten europäischen Blick Finanz- und Bankenkrisen, arabischer Frühling, Ukraine und Flüchtlingsdramen sich ablösen und temporär die Aufmerksamkeit bannen, nimmt die DGV-Tagung die Frage nach der Vielfalt der Krisen in den Blick und fragt: Wie werden Krisen in unterschiedlichen regionalen und soziokulturellen Kontexten wahrgenommen? Mit welchen kulturell und historisch unterschiedlichen Ursachen, Deutungen und Folgen werden sie verknüpft? Wie werden sie individuell und kollektiv bedeutsam, diskursiv verhandelt und handlungspraktisch relevant? Auf welche Konzepte und Handlungsoptionen wird dabei verwiesen, welche ontologischen Axiome, Wahrnehmungen und Lösungsvorschläge werden verstärkt, in Frage gestellt oder obsolet? Welche neuen Deutungsmuster und sozialen Ordnungen gehen aus Krisen hervor? Inwieweit werden Formen der Modernität als Krise der Moderne und ihrer Versprechungen thematisiert und verstanden?

Die DGV-Tagung 2015 lädt ein, das Phänomen der „Krisen“ aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und die Relevanz einer Ethnologie der Krise für ein vertieftes Verständnis aktueller und historischer Krisen zu erkunden. Sie schlägt vor, zu erforschen, wie in Krisen Re-Formationen von Leben, Macht und Welt verhandelt und durchgesetzt werden.

Inwieweit verändern sie soziale Lebensbedingungen, die technologischen, ökologischen und kognitiven Voraussetzungen für die Reproduktion von Leben und wie transformieren sich die Konzeptionen des Lebendigen und damit jene zwischen Subjekt und Ding, Natur und Gesellschaft? Welche „Mächte“ werden in Krisen beschworen, bekämpft und überwunden und welche Machtverhältnisse transformiert, etabliert und durchgesetzt? Wie werden Konzeptionen der Welt durch Krisen und Krisenszenarien in Frage gestellt und zu welchen neuen Wahrnehmungsformen tragen sie bei? Mit welchen Vorstellungen, Narrativen und Ritualen stehen solche Re-Formationen in Verbindung? Zu welcher Diagnose der Welt kommt die deutschsprachige Ethnologie unter dieser Perspektive? Was sagt dies über ihre eigenen Potentiale und ihre Fähigkeit reformierte Perspektiven auf die Welt zu entwickeln?

Fotos: Alte Universität Marburg, © Georg Kronenberg

Fotos: Alte Universität Marburg, © Georg Kronenberg