17.11.23
Stellungnahme des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie zu Terror und Gewalt in Israel/Palästina und den polarisierenden Debatten in Deutschland
Als Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie stehen wir solidarisch mit den Menschen in Israel und aus aller Welt, die um ihre von der Hamas brutal ermordeten Angehörigen und Freund:innen trauern und um die verschleppten Geiseln fürchten. Unsere anhaltende Sorge gilt allen zivilen Opfern im Gazastreifen und den Menschen, die, aus ihren Häusern vertrieben, inmitten von Kampfhandlungen um ihr Leben fürchten müssen. Wir stehen an der Seite aller Menschen in Israel und Palästina, die in täglicher Angst vor Raketen, Bomben und Gewalt leben müssen und Angehörige verloren haben.
Als Sozial- und Kulturanthropolog:innen arbeiten wir grenzüberschreitend mit Menschen in ihren vielfältigen kulturellen, religiösen, sozialen und politischen Bezügen. Wir unterstützen alle Menschen, die sich für die Einhaltung von Menschen- und Völkerrecht einsetzen und Kriegsverbrechen verurteilen. Wir beobachten, dass Terror und Gewalt gegen Zivilbevölkerungen noch nie einen Konflikt gelöst haben, sondern zu einer Verhärtung von Feindschaften führen.
Mit großer Sorge nehmen wir eine zunehmende Polarisierung der gesellschaftlichen Diskussion in Deutschland wahr, die elementare Formen des Zuhörens und der Differenzierung erschwert. Antisemitismus und Rassismus haben auch in der Geschichte unserer Disziplin größten Schaden angerichtet und Menschenleben zerstört. Wir treten deshalb allen Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund von religiöser, ethnischer, sprachlicher oder kultureller Zugehörigkeit entschieden entgegen. Wir stehen in tief empfundener Solidarität mit allen jüdischen Menschen, die angesichts eines immer stärker zu Tage tretenden Antisemitismus in Deutschland und weltweit verunsichert und verängstigt sind. Wir sind alarmiert, wenn in Deutschland und Europa gesellschaftliche Gruppen in Medien und politischen Debatten unter Generalverdacht gestellt werden und antimuslimischer Rassismus in öffentlichen Diskursen sichtbar wird. Wir verstehen Migration und Pluralität als Bereicherung unserer Gesellschaft und unterstützten die Berliner Erklärung in Verteidigung der Migrationsgesellschaft.
Sozial- und kulturanthropologische Forschung besteht im Aufbau von Kooperationen, die einen beständigen Perspektivwechsel aller Beteiligten erfordern. Auch unsere internationalen Studierenden und Kolleg:innen sind jedoch zunehmend darüber verunsichert, ob und in wie weit an deutschen Universitäten und Kultureinrichtungen noch ein freier Austausch von Argumenten möglich ist. Wir stehen deswegen nachdrücklich für die Notwendigkeit von Kontextualisierung und Differenzierung in der wissenschaftlichen Arbeit und zivilgesellschaftlichen Debatte ein. Wir rufen dazu auf, Diskussions- und Begegnungsräume zu schaffen, in denen Pluralität und Widerspruch willkommen sind und unterschiedliche, an Verständnis orientierte und sorgfältig begründete Standpunkte und Perspektiven Platz finden. Als Vorstand der Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie bekennen wir uns zur demokratischen, postmigrantischen Gesellschaft in Deutschland, in der Menschen aller Zugehörigkeiten angstfrei und friedlich zusammenleben, zusammen diskutieren und zusammenarbeiten können.